Wie entstehen Schmerzen im Bereich einer Sehne?
marco
November 6, 2023
Entzündung oder Degeneration?
Früher dachte man, dass chronische Sehnenschmerzen aufgrund einer Entzündung entstehen. Jedoch zeigen chronisch schmerzende Sehnen keine Entzündungszeichen. Dies ist nicht zu verwechseln mit einer akuten Sehnenentzündung, welche ebenfalls zu Schmerzen führt. In neueren Studien gibt es jedoch Hinweise, dass inflammatorische Zytokine und Mediatoren wie Interleukine oder Substanz P zu Sehnenerkrankungen beitragen. Ebenso spielen diverse Immunzellen wie Mastzellen, Makrophagen und Lymphozyten eine wichtige Rolle für die Initiierung und die Regulation von Sehnenerkrankungen.(1)
Eine Degeneration der Sehne, diagnostiziert im MRT oder Ultraschall, ist häufig schmerzfrei.(2) Das bedeutet, dass nicht jede Sehne mit degenerativen Veränderungen zu Schmerzen führt. Woher kommen dann die Schmerzen, wenn sie nicht mit dem Ausmass der Degeneration korrelieren?
Die Bedeutung von Neurotransmittern und metabolischen Faktoren für
Sehnenschmerzen
Neurotransmitter können ebenfalls Schmerzen in den Sehnen verursachen. In Tendinopathien ist das Laktat doppelt so hoch wie in der Kontrollgruppe. Laktat entsteht in der anaeroben Vergärung von Zucker und ist häufig bei mitochondrialen Dysfunktion erhöht. Dies stützt also unsere Hypothese, dass die mitochondriale Funktion bei Sehnenerkrankungen von Bedeutung ist.
Weiterhin zeigen Patienten mit chronischer Achillessehnen- und Patellarsehnentendinopathie erhöhte Konzentrationen des Neurotransmitters Glutamat.(2) Die erhöhte Konzentrationen von Glutamat sensibilisiert Nervenfasern und führt zu verstärkten Schmerzen. Gerade bei Fluorchinolon-induzierten Sehnenschmerzen könnte die Fehlregulation des gabaergen/glutamergen Nervensystem eine potenzielle Ursache von Schmerzen sein. Diese These wird dadurch gestützt, dass einige Medikamente für Nervenschmerzen, welche auf Glutamat wirken, bei einigen Betroffenen zu einer deutlichen Schmerzreduktion im Bereich der Sehnen führen.
Sind die Schmerzen nach Fluorchinolon-Gabe ähnlich dem Krankheitsbild CRPS, bei welchem eine initiale Verletzung im Verlauf zu starken Nervenschmerzen führt? Die kurzfristige Wirksamkeit jener Medikamente gibt uns zumindest einen Hinweis darauf, dass das Nervensysten, insbesondere jene beiden Neurotransmittern, bei chronisch schmerzenden Sehnen nach Fluorchinolon-Gabe eine Bedeutung zukommt.
Substanz P ist ein weiterer bedeutsamer Neurotransmitter und Neuromodulator im Bezug auf Sehnenschmerzen. Er kommt in den kleinen, nicht myelinisierten Nervenfasern in der Sehne vor. Diese sensorischen Nervenfasern übermitteln Schmerzen zum Rückenmark. Studien zeigten, dass ein erhöhtes Level an Substanz P mit Schmerzen in Erkrankungen der Rotatorenmanschette, sowie bei Tennis- und Golferellbogen (mediale und laterale Epicondylopathie) korreliert.(2)
Neovaskularisierung
Wie bereits erwähnt, sind Tendinopathien häufig klinisch stumm, also schmerzfrei. Der Übergang zu einer symptomatischen Tendinopathie ist histologisch charakterisiert durch die Invasion von Blutgefässen (Neovakularisierung) gefolgt von Nervenproliferation sowie einem erhöhtem Glutamat Level.(3)
Wie kommt es nun zu dieser nicht-funktionalen Gefässbildung? Wie beschrieben ist Laktat in degenerativen Sehnen erhöht. Aufgrund der anaeroben Verhältnisse kommt es zur Induktion des Transkriptionsfaktors HIF, was zu einer Expression vom Wachstumsfaktor Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) führt, ein Wachstumsfaktor, der unerlässlich ist für die Bildung von Blutgefässen. VEGF kann jedoch auch Matrix-Metalloproteinasen (MMPs) hochregulieren, was erneut zur Degeneration der extrazellulären Matrix führt.(3) Ebenso kommt es durch VEGF zu einer Neovaskularisierung in den Sehnen, wobei auch die bereits erwähnten Nozizeptoren mit den Blutgefässen proliferieren.
Die Neubildung von Blutgefässen tritt in schmerzenden Sehnen auf, was mit einem Doppler Ultraschall bestätigt werden kann. (3,4) Es besteht also eine Assoziation von chronisch schmerzenden, degenerativ veränderten Sehnen mit dem Vorhandensein einer Neovaskularisierung.(3) Jedoch kommt auch in nicht schmerzenden Sehnen teilweise eine Neovaskularisierung vor.5 Ist es also doch nicht die primäre Ursache der chronischen Sehnenschmerzen?
In Bezug auf Fluorchinolon-assoziierte Sehnenerkrankungen ist es interessant zu sehen, dass die dass viele Betroffene nach Fluorchinolon-Gabe keine Neovaskularisierung im Doppler Ultraschall aufweisen, aber trotzdem starke Schmerzen haben.
Veränderungen des paratendinösen Gewebes
Immer wieder sehen wir MRT-Berichte von FQAD-PatientInnen, welche zwar von gesunden Sehnen, aber von Entzündungen der umliegenden Strukturen berichten. Wie man vielleicht von der Sehnenscheidenentzündung der Hand kennt, sind solche Veränderungen sehr schmerzhaft, oft schmerzhafter als degenerative Veränderungen der Sehne selbst. Aus der Schmerzforschung weiss man, dass Schmerzen nicht mit dem Ausmass der körperlichen Schädigung korrelieren. Häufig sind ungefährliche Pathologien (z.B. Hexenschuss, verspannte Rückenmuskulatur) extrem schmerzhaft, degenerative Veränderungen aber, wie z.B. ein Bandscheibenvorfall, asymptomatisch.
Wieso es zu den chronischen Entzündungen von Bursen und Sehnenscheiden (Paratendinitiden) nach Fluorchinolone-Gabe kommt, ist bisher unklar. Sie stellt jedoch eine potenzielle Ursache für chronische Schmerzen im Bereich von Sehnen bei FQAD-PatientInnen dar.
Übersicht potenzieller Ursachen von Schmerzen in Bereich von Sehnen
Um alles Besprochene noch einmal zusammenzufassen, ist hier Überblick der potentiellen Ursachen, Diagnostik und Therapie für Schmerzen im Bereich von Sehnen bei FQAD-PatientInnen aufgelistet:
Akute Schmerzen:
Akute Entzündung (Tendinitis)
- Symptome: Rötung, Schwellung, Überwärmung
- Diagnostik: klassische Entzündungszeichen; MRT und Ultraschall
- Therapie: RICE – Rest (Pause), Ice (Eis), Compression (Kompression), Elevation (Hochlagerung); akute Entzündungshemmung
(Teil-)Ruptur
- Symptome: Plötzliche Schmerzen mit Funktionseinschränkung
- Diagnostik: MRT, teilweise Ultraschall
- Therapie: Regenerative Medizin (z.B. PRP), eventuell operativ
Chronische Schmerzen
Degeneration mit Neovaskularisierung und einspriessenden Nozizeptoren
- Symptome: chronische Schmerzen, evtl. Verdickung der Sehne, keine Entzündungszeichen
- Diagnostik: Nachweisbar im Doppler Ultraschall
- Therapie: Pacing, sehr behutsame professionelle Physiotherapie, Regenerative Medizin, Stosswellentherapie
Interaktion mit dem zentralen und peripheren Nervensystem, veränderte Neurotransmitter
- Symptome: chronische Schmerzen, keine Veränderung sichtbar, ohne Befund in Bildgebung wie MRT oder Ultraschall
- Diagnostik: eventuell Allodynie: Schmerzempfindung, die durch Reize ausgelöst wird, welche üblicherweise keinen Schmerz verursachen, wie z.B. leichte Berührungen auf der Haut im Bereich der Sehnen als Hinweis auf zentrale Sensitivisierung
- Therapie: Pain Reprocessing Therapy, Neuraltherapie, evtl. Medikation, Mindfulness-based Pain Management (MBPM)
Low Grade Inflammation im Zusammenhang mit überaktiven Immunzellen
- Symptome: chronische Schmerzen
- Diagnostik in keiner Bildgebung nachweisbar
- Therapie: langfristige Entzündungshemmung (z.B. regelmässige Kryo-/Kältetherapie, Ernährungsumstellung), Pacing
Fazit
Für Betroffene mit starken Sehnenschmerzen ist es wichtig zu verstehen, dass es unwahrscheinlich ist, dass eine Degeneration des Sehnengewebes (Kollagens) die Ursache chronische Schmerzen ist. Degenerative Sehnen sind häufig (in Studien bis zu 59 %) asymptomatisch. Das Gleiche gilt für andere degenerative Veränderungen wie Bandscheibenvorfälle aber auch Erkrankungen wie die Osteoarthritis.(5) Der Schmerz korreliert nicht mit der Schädigung. Erst wenn eine Neovaskularisierung vorhanden ist, scheinen degenerativ veränderte Sehnen Schmerzen zu verursachen. Dies trifft aus meiner Erfahrung selten auf FQAD-PatientInnen zu.
Eine wichtige Frage, die wir uns stellen müssen: Warum gibt es Menschen mit degenerativen veränderten Sehnen/Gewebe, welche keinerlei Beschwerden haben, und andere mit dem gleichen Befund, die unter sehr starken Schmerzen leiden?
Aktuelle Schmerzforschung deutet darauf hin, dass chronische Schmerzen, sofern keine klare Pathologie, wie beispielsweise eine akute Entzündung oder ein komprimierter Nerv, vorhanden ist, mehr mit dem Nervensystem als mit degenerativen Gewebe zu tun haben. Neue Therapieansätze wie Pain Reprocessing Therapy (PRT), welche oft eine bessere Erfolgsrate haben als konventionelle Therapieansätze(6), bestätigen diese These und bergen Hoffnung für PatientInnen mit chronischen Schmerzen.
Mehr zur Therapie Fluorchinolone-induzierten Sehnenschmerzen finden Sie im nächsten Artikel.
Geschrieben von: Marco Karrer
Vielen Dank für die Mitarbeit: Andrea Gall (Rechtschreibung), Ferdinand Dirsch (SEO, Ergänzungen, Übersetzung ins Englische), Michael Rosar (Inhalt, Vereinfachungen), Patrick Horisberger (Inhalt, Vereinfachungen),
Erste Publikation: 28.05.2023
Letztes Update 15.01.2023
Quellen:
- Mitochondrial Dysfunction and potential mitochondrial protectant treatments in Tendinopathy,
Xueying Zhan et al. 2021 DOI: 10.1111/nyas.14599 - Biology of tendon injury: healing, modeling and remodeling P. Sharma and N. Maffuli; 2006
- Pathogenesis of tendinopathies: inflammation or degeneration? Michele Abate et al.
- Ohberg L, Lorentzon R, Alfredson H: Neovascularisation in Achilles tendons with painful tendinosis but not in normal tendons: an ultrasonographic investigation. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 2001, 9:233-238.
- Tendinopathy: Is Imaging Telling Us the Entire Story? Sean I. Docking, Chin Chin OOI, David Connel
- Effect of Pain Reprocessing Therapy vs Placebo and Usual Care for Patients With Chronic Back Pain: A Randomized Clinical Trial, Yoni K Ashar, Alan Gordon, Howard Schubiner