FQAD Support

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Über FQAD

Im Jahr 2019 fand in Europa eine öffentliche Anhörung der EMA bezüglich der Fluorchinolone statt, mit dem Beschluss eines weiteren Warnschreibens an die Ärzte (sogenannter Rote-Hand-Brief) sowie weiterer Indikationsbeschränkungen.

Begriff und Diagnostik

Fluoroquinolone-Associated Disability – auch FQAD genannt – ist eine Krankheit mit schweren, langanhaltenden bis hin zu irreversiblen Nebenwirkungen, verursacht durch die Behandlung mit einem Fluorchinolon-Antibiotika. Die Diagnosekriterien von FQAD, gewählt von der FDA (1), sind:

  1. Substanzielle Einschränkung, normale Lebensfunktionen auszuüben.
  2. Zwei oder mehr der folgenden Systeme sind betroffen:
    1. Muskuloskelettales System
    2. Peripheres Nervensystem
    3. Haut
    4. Kardiovaskuläres System
    5. Sinnesorgane
    6. Neuropsychiatrisch
  3. Die Nebenwirkungen bestehen für mehr als 30 Tage nach Absetzen der Medikation weiter.
Offizielle Anerkennung von FQAD

Leider gibt es aktuell noch keinen Diagnoseschlüssel von der WHO, wodurch ein passender ICD-Code fehlt. Dies ist eines der Anliegen, welche der Verein zur Aufklärung über die Nebenwirkungen von Fluorchinolon Antibiotika (VFCN) in seine Mission und Ziele (2) integriert hat. Ohne ICD Code ist es schwierig für Betroffene, Anerkennung zu finden bei Ärzten und Versicherungen. Aktuell ist gerade erneut ein Versuch offen, zumindest einen Subcode im ICD zu erhalten, da bereits der Code T36 Vergiftung durch systemisch wirkende Antibiotika existiert, mit einigen Subcodes wie beispielsweise T36.0 Vergiftung: Penicilline. (13) Hier wäre eine Erweiterung als T36.7 Vergiftung: Fluorchinolone wünschenswert.

Offizielle Warnung der EMA bezüglich Fluorchinolone

Im Jahr 2019 fand in Europa eine öffentliche Anhörung der Europäischen Arzneimittelagentur, kurz EMA, bezüglich Fluorchinolone statt, mit dem Beschluss eines neuen Warnschreibens an die Ärzte, einem sogenannten Rote-Hand-Brief, sowie weiterer Indikationsbeschränkungen (3). Hier ein kleiner Ausschnitt:

“08.04.2019 Systemisch und inhalativ angewendete Chinolon- und Fluorchinolone-Antibiotika: Risiko von die Lebensqualität beeinträchtigenden, lang anhaltenden und möglicherweise irreversiblen Nebenwirkungen – Anwendungsbeschränkungen.
Die Lebensqualität beeinträchtigende, langanhaltende und möglicherweise irreversible Nebenwirkungen wurden im Zusammenhang mit chinolon- und fluorchinolonhaltigen Antibiotika berichtet. Sie betreffen hauptsächlich den Bewegungsapparat und das Nervensystem.”

Pathomechanismus und Symptome

Unterdessen gibt es mehr Literatur betreffend Pathomechanismus sowie potentielle Therapieoptionen bei dieser Erkrankung. Das 2020 erschienene Essential „Fluoroquinolone-Associated Disability FQAD: Pathogenese, Diagnostik, Therapie und Diagnosekriterien“ (4) von Dr. med. Stefan Pieper liefert einen guten Überblick über den aktuellen Forschungsstand.

Gemäss Dr. med. Stefan Pieper betrifft die FQAD die folgenden vier Körpersysteme, welche je nach Patient unterschiedlich ausgeprägt betroffen sein können:

  1. Mitochondriale Dysfunktion durch vermehrten oxidativen Stress sowie Hemmung der Topoisomerase II.
  2. Kollagenschäden durch Hochregulation diverser Matrix-Metalloproteinasen
  3. Schädigung des peripheren Nervensystems durch oxidativen Stress, mitochondriale Dysfunktion oder direkte neurotoxische Wirkung.
  4. Neuropsychiatrische Nebenwirkungen durch die Fluorchinolon-bedingte Hemmung des GABAergen Systems sowie übermässige Aktivierung von NMDA-Rezeptoren.

Daraus ergibt sich ein breit gefächertes Krankheitsbild mit vielen möglichen Symptomen:

  • Starke Müdigkeit und Erschöpfung
  • Tendinopathie, Sehnenruptur
  • Erhöhtes Risiko für Aortenaneurysmen
  • Schädigung peripherer Nerven sowie daraus resultierenden Parästhesien, Dysästhesien sowie Nervenschmerzen
  • Muskelschwäche, Myalgien, Faszikulationen
  • Arthralgie
  • Schlafstörungen, Depersonalisation bis hin zu Suizidalität

Potenzielle Therapieoptionen

Ebenfalls sei hier das hervorragend geschriebene Paper von Krzysztof Michalak, PhD „Behandlung der FQAD: Pathobiochemische Implikationen“ (5) erwähnt. Darin postuliert Krzysztof Michalak, PhD folgende potentielle Therapieoptionen:

  1. Reduktion des oxidativen Stresses.
  2. Wiederherstellung des reduzierten mitochondrialen Potentials.
  3. Supplementation ein- und zweiwertiger Kationen, welche durch Fluorchinolone chelatiert und wahrscheinlich ineffektiv zur Zelle transportiert werden.
  4. Stimulation der mitochondrialen Proliferation.
  5. Entfernung von permanent angereicherten Fluorchinolonen aus der Zelle
  6. Regulierung der gestörten Genexpression und Enzymaktivität.
Dysfunktion GABAerge Neurotransmission bei FQAD

Ein weiteren Ansatzpunkt betreffend Therapie der FQAD liefert die durch Dr. med. Stefan Pieper beschriebene (4) sowie in diversen Studien berichtete antagonistische Wirkung der Fluorchinolone am GABA-A-Receptor, welche besonders bei der gleichzeitigen Gabe mit einem NSAR als verstärkt beschrieben wurde (6). In einer aktuellen Studie wurde ebenfalls die Wirkung auf das GABAerge Nervensystem im Zusammenhang mit chronischer Dysfunktion der Magen- und Darmperistaltik beschrieben. Ursächlich für die z. T. langfristig vorhandenen Beschwerden des Magen-Darmtraktes wird die verminderte GABAerge Transmission vom Hirnstamm zum dorsalen motorischen Vagusnervkern, welcher entscheidend ist für die Regulation von Muskulatur, in diesem Falle des Magen- und Darmes (12). Aus der bisherigen Beobachtung von Betroffenen, welche von den behandelnden Ärzten mit Antiepileptike wie Gabapentin, Pregabalin oder Clonazepam behandelt werden, haben sich die Lebensqualität einschränkenden Nebenwirkungen wie Schmerzen, Parästhesien, Dysästhesien sowie Schlafstörung besonders zu Beginn oft deutlich reduzieren lassen. Dies wurde jedoch leider bisher nicht in einer Studie untersucht und beruht lediglich auf der Rückmeldung von Betroffenen. Natürlich, wie bei jeder anderen Therapie, profitieren nicht alle Betroffenen von einer Therapie mit obigen Medikamenten, und die Nebenwirkung einer langfristigen Behandlung damit darf nicht vernachlässigt werden. In jedem Falle scheinen jene Antiepileptika die Exzitotoxizität reduzieren zu können (7), welche hypothetisch akut durch den Antagonismus des Fluorchinolon-Antibiotikums am GABA-A-Receptor ausgelöst wird. Dadurch scheinen sie Symptome wie Schlafstörungen, aber auch die Nervenschmerzen abzumildern. Eine weitere Möglichkeit erscheint ein Versuch durch die Hemmung der NMDA Aktivität, wie ebenfalls beschrieben durch Dr. med. Stefan Pieper (4). Dies könnte zum Beispiel durch den NMDA-Antagonist Memantine (8), oder schwächer ausgeprägt durch den nicht-kompetitiven NMDA Antagonist Magnesium (9), versucht werden. Gerade Magnesium in höherer Dosierung (ab 600mg elementares Magnesium) scheint vielen zu helfen. Ob dieser Effekt aufgrund der Wirkung auf den NMDA Rezeptor stattfindet, ist dabei unklar.

Krankheitsverlauf

Zu den unterschiedlichen Krankheitsverläufen liefert die Seite des Vereins zur Aufklärung über die Nebenwirkungen von Fluorchinolone Antibiotika (VFCN) einen guten Überblick: (10)

Die Schwere und Dauer der Nebenwirkungen sind von Fall zu Fall unterschiedlich. So gibt es Betroffene mit schweren körperlichen Einschränkungen, die nach einer Zeit wieder vollständig genesen, während andere Betroffene mit anfänglich nur moderaten Nebenwirkungen einen progressiven Krankheitsverlauf erleben. Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA geht auf Basis der gemeldeten Fälle von einer durchschnittlichen Dauer von 14 Monaten bei schweren Nebenwirkungen aus. Es wurden aber auch etliche Fälle von permanenten Schädigungen gemeldet. Eine Übersicht über mögliche Verläufe liefert der Flox-Report. Darin werden mögliche mittelschwere bis schwere Verläufe anhand drei verschiedener Kurven abgebildet (siehe unten). Die Daten basieren auf der Beobachtung der Krankheitsverläufe von 49 Patienten. Von dieser Studie ausgeschlossen sind leichte und herkömmliche Nebenwirkungen, die in der Regel nach Absetzen des Medikamentes wieder verschwinden. Es ist wichtig zu betonen, dass der oben genannte Report von Betroffenen selbst geschrieben wurde und daher wissenschaftlich nicht auf hohem Niveau anzusehen ist. (11) Trotzdem bietet er eine interessante Übersicht über mögliche Verläufe, welche sich in der Praxis mit FQAD Patienten bestätigt hat. Der Report ist jedoch bereits bereits 14 Jahre alt. Viele der Patienten wussten weniger über Ursachen und potentielle Therapiemöglichkeiten von FQAD, da es zu diesem Zeitpunkt kaum Studien zum Thema FQAD gab.

Fazit

Abschliessend ist zu sagen, dass trotz einzelner interessanter Studien und Theorien zu FQAD noch viele Erkenntnisse notwendig sind, um eine genaue Ursache sowie Therapie zu etablieren. Auch die Frage, welche Population mit welchen individuellen Voraussetzungen an den schweren, zum Teil irreversiblen Nebenwirkungen erkrankt, ist ungeklärt. Um den Betroffenen Hilfe zu bieten, ist daher vermehrte Forschung dazu unabdingbar.

 

Marco Karrer B.med.
Aktualisiert Dezember 2023

Quellenangaben

  1. https://www.fda.gov/media/104060/download

  2. https://www.fluorchinolone.info/impressum

  3. Schwarzeck-Verlag; Wichtige Arzneimittelinformation Systemisch und inhalativ angewendete Chinolon- und Fluorchinolon-Antibiotika: Risiko von die Lebensqualität beeinträchtigenden, lang anhaltenden und möglicherweise irreversiblen Nebenwirkungen – Anwendungsbeschränkungen; 2019

  4. Stefan Pieper, Fluroquinolone-Associated Disability FQAD: Pathogenese, Diagnostik, Therapie und Diagnosekriterien; 2020

  5. Krzysztof Michalak et al; Treatment of the Fluoroquinolone-Associated Disability: The Pathobiochemical Implications; 2017

  6. M.A. Green, R.F. Halliwell Selective antagonism of the GABA A receptor by ciprofloxacin and biphenylacetic acid; 2009

  7. GABA A Receptor Activation Attenuates Excitotoxicity but Exacerbates Oxygen-Glucose Deprivation-Induced Neuronal Injury In Vitro; 1996

  8. Melinda K. Kutzing, Vincent Luo, Bonnie L. Firestein; Protection from glutamate-induced excitotoxicity by memantine

  9. https://www.fluorchinolone.info/krankheitsverlaeufe

  10. The International Journal of Neuropsychopharmacology; Bartłomiej Pochwat, Bernadeta Szewczyk, Magdalena Sowa-Kucma, Agata Siwek, Urszula Doboszewska, Wojciech Piekoszewski, Piotr Gruca, Mariusz Papp, Gabriel Nowak; Antidepressant-like activity of magnesium in the chronic mild stress model in rats: alterations in the NMDA receptor subunits; 2014

  11. https://fqresearch.org/pdf_files/FLOX_REPORT_REV_12.pdf

  12. Fluoroquinolones-Associated Disability: It Is Not All in Your Head; Maya Freeman et al. 2021
  13. https://medcode.ch/ch/de/icds/ICD10-GM-2018/T3