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Epidemiologie von Fluorchinolon-assoziierten Sehnenerkrankungen

Verschreibung von Fluorchinolon-Antibiotika

Um das Ausmass der Nebenwirkungen von Fluorchinolon-Antibiotika zu verstehen, müssen wir uns zuerst einmal bewusst werden, wie häufig jene Medikamente in der Vergangenheit, aber auch heute noch verschrieben werden.

Obwohl Fluorchinolone zu den Reserveantibiotika gezählt werden, waren sie zwischen 1995 und 2002 die am häufigsten verschriebenen Antibiotika in den USA.(1)

Trotz vermehrter Warnhinweise betreffend schwerwiegender Nebenwirkungen von Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin etc. gab, werden jene Substanzen immer noch häufig verschrieben.

Gerade kürzlich erschien erneut von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) der Hinweis, dass die Umsetzung der Einschränkungen aus dem Jahr 2019 für den Einsatz von systemisch wirksamen Fluorchinolon-Antibiotika bei nicht- lebensbedrohliche Erkrankungen nicht vollständig umgesetzt wurde.(2)

Leider bestätigt sich dies in der Erfahrung mit vielen Betroffenen, welche wir in den letzten Jahren persönlich beraten haben. Das Risiko wird häufig stark unterschätzt. Betroffenen werden Fluorchinolon-Antibiotika für banale Infektionen verschrieben oder, als reine Prophylaxe. Unter anderem sah ich PatientInnen, denen Cipro & Co. aufgrund einer unkomplizierten Blasenentzündung, einer chronischer Prostatitis ohne bakteriellen Befund oder wegen eines Gerstenkorns verschrieben wurde. Das sind sicherlich nicht die von der EMA beschriebenen lebensbedrohlichen Erkrankungen für ein akzeptables Nutzen-Risiko-Verhältnis bei der Verordnung von Cipro & Co.

Fluorchinolone werden heute in Europa immer noch zu häufig eingesetzt, was man an der
„Defined Daily Dose“ pro 1000 Bewohner erkennen kann. Während einige Länder wie Dänemark mit einer DDD pro 1000 Bewohner von 0.3 besser abschneiden, gibt es in der EU Länder wie Bulgarien mit einer DDD pro 1000 Bewohner von 3.9.(3)

Epidemiologie Fluorchinolon-assoziierter Sehnenerkrankungen

 

Der erste Report zu Fluorchinolon-assoziierter Tendinopathie wurde bereits 1983 publiziert.(1) In jenem Report wurden zwei Patienten mit unterschiedlichen Tendinopathien präsentiert, wobei der erste unter einer Achillessehnentendinopathie litt und der zweite an bilateralen (beidseitigen) Tendinopathien der Fingerflexoren (Fingerbeuger) zusammen mit Schmerzen am Knöchel und der Hüfte.(1)

Der erste Bericht einer Sehnenruptur nach Gabe eines Fluorchinolon-Antibiotikums ist 1991 in der Literatur zu finden.(1)

In den USA gab es im Jahr 2008 eine Black-Box Warnung betreffend Tendinitis und Sehnenruptur.(1) Jene Warnung stellt die höchstmögliche Warnung für eine Medikation in den USA dar.(4)

Das Risiko von Sehnenerkrankungen nach Cipro, Levo, Moxi & Co. ist deutlich grösser, als bei der Behandlung mit anderen Antibiotika. Cortisongabe und höheres Alter erhöhen in gewissen Fällen das Risiko, jedoch treten Fluorchinolon-assoziierte Sehnenerkrankungen auch bei jungen PatientInnen und unabhängig von Cortison auf.(1)

Die Inzidenz von Sehnenerkrankungen bei der Gabe von Fluorchinolon-Antibiotika in einer gesunden Population ist nach publizierten Daten „gering“ (ca. 0.14-0.4%)(5), es wird jedoch vermutet, dass eine sehr hohe Dunkelziffer vorhanden ist.

Am häufigsten berichtet wurde bisher von Achillessehnenerkrankungen nach Fluorchinolon-Exposition, wobei fast die Hälfte bilateral auftreten.5 Es können jedoch auch andere Sehnen betroffen sein.

Über folgende Sehnenerkrankungen gibt es publizierte Case Reports:1, 5

  • Epicondylitis
  • Fingersehnen inklusive Daumen
  • Patellarsehne
  • Supraspinatussehne
  • Quadrizepssehne
  • Plantarfaszie
  • Tendinopathie des M. subscapularis
  • Tendinopathie des M. biceps brachii
  • Tendinopathie des M. brachioradialis
  • Tendinopathie des M. adductor longus
  • Tendinopathie des M. rectus femoris
  • Tendinopathie des M. flexor hallucis longus
  • Tendinopathie des M. extensor pollicis longus
  • Tendinopathie des M. quadriceps

Wie häufig sind Sehnenrupturen durch Fluorchinolone?

Die Ruptur von Achillessehnen nach Therapie mit einem Fluorchinolon-Antibiotikum ist assoziiert mit dem Alter, wobei Patienten über 60 deutlich häufiger Sehnenrupturen erleiden.(1) Das Risiko für eine Tendinitis oder einer Ruptur von anderen Sehnen ist hingegen unabhängig vom Alter.(1) Das Risiko für mit Fluorchinolonen behandelten Patienten eine Ruptur zu erleiden wird von den Autoren auf 1 zu 5958 geschätzt.1 Würde man von dieser Zahl ausgehen, ergibt sich bei der hohen Verschreibung dieser Antibiotikaklasse ein bedeutsames gesundheitspolitisches Problem, wobei die oben erwähnte Dunkelziffer noch nicht nichtmal mit einbezogen ist.

Fazit

Die aktuelle Literatur zeigt also eine klare Assoziation zwischen Exposition zu einem Fluorchinolon-Antibiotikum und der Entwicklung von Sehnenerkrankungen.(1)

Zu wenig verbreitet bei Fachpersonen ist unserer Meinung, dass a) Fluorchinolon- Antibiotika zu potenziell langfristiger Invalidisierung führen können, b) Sehnenerkrankungen nicht nur bei älteren PatientInnen entstehen, c) Sehnenerkrankungen unabhängig von der zusätzlichen Gabe von Cortison auftreten können und d) praktisch jede Sehne des menschlichen Körpers betroffen sein kann.

Dieses fehlende Wissen fehlt, obwohl die FDA sowie die EMA bereits mehrfach vor langfristig bis irreversiblen und potenziell invalidisierenden Schäden an Sehnen nach der Behandlung mit einem systemisch wirksamen Fluorchinolon-Antibiotikum warnten. (2), (6)

Hierbei stellt sich die Frage, ob in Zukunft für praktizierende ÄrztInnen eine bessere Informationsmöglichkeit geschaffen werden muss, damit solche Warnungen ihr Ziel erreichen.

Marco Karrer B.Med

Vielen Dank für die Mitarbeit: Andrea Gall (Rechtschreibung), Ferdinand Dirsch (SEO, Ergänzungen, Übersetzung ins Englische), Michael Rosar (Inhalt, Vereinfachungen), Patrick Horisberger (Inhalt, Vereinfachungen),

Erste Publikation: 28.05.2023
Update 15.01.2023

 

Quellen:

  1. Musculoskeletal Complications of Fluoroquinolones: Guidelines and Precautions for usage in the Athletic Population
  2. Warnung EMA auf: https://www.ema.europa.eu/en/news/fluoroquinolone-antibiotics- reminder-measures-reduce-risk-long-lasting-disabling-potentially? fbclid=IwAR3dFDVQGHk7-X6k1fFgor4DYIKErOL4YeKmEHEJRcnUW1t49mQPdEHaSeQ
  3. Antimicrobial consumption in the EU/EEA (ESAC-Net) Annual Epidemiological Report for 2021, ECDC, https://www.ecdc.europa.eu/sites/default/files/documents/ESAC- Net_AER_2021_final-rev.pdf
  4. Cleveland Clinic, what does it mean if my medication has a black box warning; https:// health.clevelandclinic.org/what-does-it-mean-if-my-medication-has-a-black-box-warning/ #:~:text=Black%20box%20warnings%2C%20also%20called,safe%20use%20of%20the%20drug.
  5. Fluoroquinolone-Associated Tendinopathy: A Critical Review of the Literature; 2003; Khaliq and Zhanel
  6. FDA Drug Safety Communication: FDA advises restricting fluoroquinolone antibiotic use for certain uncomplicated infections; warns about disabling side effects that can occur together; 05.12.2026; https://www.fda.gov/drugs/drug-safety-and-availability/fda-drug- safety-communication-fda-advises-restricting-fluoroquinolone-antibiotic-use-certain#:~:text=An%20FDA%20safety%20review%20has,nerves%2C%20and%20central%20nerv ous%20system.

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